Picke packe vollgepackt war das Programm zur Trainer-C-Lizenz-Fortbildung des AVSH. Uli Schümann (7. Dan) hat als Lehrwart und Lehrgangsleiter einige interessante Punkte zusammengestellt.
Nach Ankunft, Erledigung der Formalitäten und dem Abendessen ging es gleich ins Dojo. Agnes Schröder (4. Dan) als Dozentin lud uns auf eine besondere Reise ein: „Aikido und Inklusion“ war ihr Thema. Sie brachte uns sehr anschaulich die Arbeit und die Verständigungsmöglichkeiten mit gehörlosen Mitmenschen auf der Matte nahe. Es stellte uns Teilnehmende vor die Herausforderung, Anweisungen und Erklärungen nonverbal zu überlegen, schließlich wurden wir alle mit Ohrstöpseln ausgestattet und konnten selbst schlecht hören. Tatsächlich bewegten wir uns alle damit auf ungewohntem Terrain, funktioniert doch unsere Vermittlung der Techniken/Bewegungen eher über das Sehen und Hören, aber schnell legten wir diese Scheu ab.
Am Samstag ging es gleich wieder ins Dojo. Ulis Thema war die „drehende Hüfte“. Wer Uli als Meister kennt, wusste schon, was einen erwartet. Aber auch diese Einheit brachte uns viele Erkenntnisse – gehört Uli doch immer wieder zu den Meistern, die ihr eigenes Tun auf der Matte hinterfragen, prüfen und optimieren. In Arbeitsgruppen stellten wir unter verschiedenen Themenaspekten Verkettungsmöglichkeiten vor. Uke hatte die Aufgabe, einen zweiten Angriffsversuch zu starten und sich nicht „willenlos abwerfen bzw. ablegen zu lassen“. Uli ermunterte uns alle, nicht den „willigen konditionierten Uke“ zu mimen, sondern auch mal dem Nage eine Schwäche in der Führung/Ausführung mitzuteilen. Dabei sollte es nicht um Blockade oder Verweigerung gehen, sondern darum, sich gemeinsam dem Optimum zu nähern.
Nach einer kurzen Pause brachte uns Arne Hüls die Möglichkeit nahe, evtl. Schulkooperationen einzugehen, um so zu versuchen, über diese Schiene neu interessierte Kinder, Jugendliche oder evtl. als Folge dieses Projektes Lehrkräfte und Eltern der Schulkinder zu gewinnen. Im DAB gibt es mit dem Walldorfer SV (Hamburg; Jojo Eiselen) einen Verein, der Aikido als Fach im Hamburger Lehrplan einbringen konnte. Es ist geradezu erschreckend, wie schwach der Kinder- und Jugendbereich im DAB zurzeit aufgestellt ist. In NRW gibt es z.B. nur noch vier Abteilungen/Sparten, die Kinder- und Jugendarbeit anbieten, im AVSH sieht es mit fünf Vereinen nicht wesentlich besser aus. Die Nachwirkungen der Corona-Zeit, ein anders Freizeitverhalten und kürzere Bindungen an Angebote jeder Art haben wohl dazu geführt.
Auch gibt es natürlich in diesem Bereich deutlich zu wenig engagierte Trainer. Der „einfachste“ Weg, so etwas evtl. zu implementieren, ist der „Offene Ganztag“ oder die „Betreute Schule“. Innerhalb des „normalen“ Unterrichts Aikido als Fach zu installieren, ist an hohe Hürden geknüpft – da bedarf es einer wesentlich höheren Qualifikation als nur einer Trainerlizenz. Das Problem ist natürlich, für diese oft in der Nachmittagszeit stattfindende „Betreuung“ dann Trainer zu finden. Auch kam die Überlegung auf, ob wir uns mit unserem Angebot nicht „unter Wert verkaufen“ und vielleicht offensiver mit den Themen Selbstbehauptung, Selbstvertrauen, Persönlichkeitsentwicklung und Konfliktlösung in die Werbung gehen sollten. Letztendlich werben andere Anbieter mit den gleichen Slogans. Genau wie bei uns im Aikido wird man auch bei diesen SV-Anbietern erst durch langes Training sich wirklich verteidigen können oder ein gewisses Auftreten erlernen. Dieser Ansatz sollte in den Vereinen, in den Landesverbänden und im DAB durchaus mal diskutiert werden.
Anschließend gab es einen Vortrag von Markus Hansen (5. Dan) zum Thema Aiki und Kokyu. Markus ging auf die historische Entwicklung der Begriffe bis zur heutigen Deutung ein. Auch die Auslegung der jeweiligen Kanji war ein Thema in seinen Ausführungen. Für an der Historie des Aikido und deren Weg in die heutige Zeit Interessierte ein sehr interessanter Vortrag.
Nach dem Abendessen galt es, diesen Vortrag in die Praxis umzusetzen und in kleinen Übungen, meist in Seiza/Zaho, seine Zentrumsarbeit in Verbindung mit der Atmung zu verbessern. Es ging hier nicht darum, in gewaltiger Vielfalt alle möglichen Kokyu-nage-Formen abzuarbeiten, sondern sich auf sein Zentrum und den Verbindungsaufbau zu Uke zu konzentrieren.
Sonntag widmeten wir uns der Prävention sexualisierter Gewalt. Niemand Geringeres als die Fachfrau schlechthin Ingrid Kositzki, unsere Bundesbeauftragte, hielt diesen Vortrag. Sie stellte das in Ordnung und Satzung des DAB verankerte Konzept vor. In Arbeitsgruppen arbeiteten wir dann an den Themen: Wo fängt Belästigung/Gewalt an? Wie wird sie ausgeübt? … Da dieses Thema eigentlich schon alleine für mehrere Lehreinheiten genügt hätte, reichte die Zeit nur aus, verschiedene Aspekte des Entstehens und der Verhinderung zu beleuchten. Es wurde sich sehr angeregt und intensiv ausgetauscht. Auch ein wirklich wichtiger Punkt in dieser Diskussion war, dass wir Trainer sowohl Augen als auch Ohren aufhalten müssen, können wir doch erster Anlaufpunkt und Ansprechpartner für Gefährdete auch außerhalb des Dojos direkt oder indirekt sein. Und auch immer wieder darauf zu achten, uns selbst nie in solche „gefährliche“ Situationen zu begeben, ist eine wichtige Erkenntnis. Einiges, was gut gemeint ist, könnten Außenstehende ganz anders interpretieren: Die freundschaftliche Umarmung, die Hilfestellung und, und, und.
Als letztes Thema hatte sich Uli „Aikido in der Realität und wie können wir das auf der Matte darstellen“ ausgewählt. Vordergründig ging es um das Uke-Verhalten und wie kann ich im Training neben einer „schönen Technik“ auch noch den Bezug zur Realität darstellen. Auch hier wurden wir in Arbeitsgruppen unterteilt und sollten verschiedene Aspekte beleuchten. Diese stellten wir dann der Gesamtgruppe vor. Leider fehlte bei diesem wichtigen Thema die Zeit, das Vorgetragene dann jeweils noch zu analysieren, und unsere Aufgabe wird es nun sein, selbst da aktiv unsere Trainingsarbeit zu hinterfragen. Einig waren sich alle, dass man natürlich auch nie vergessen darf, was für ein Teilnehmerkreis in den Gruppen trainiert und wie effektiv ich somit die Technik anwenden kann, um Uke nicht zu verletzen. Ein sehr gutes Ukemi des Uke macht es Nage natürlich einfacher. Auch ist allgemein feststellbar, dass das Üben des Angriffsverhaltens Ukes eine ausbaufähige Aufgabe für uns alle sein wird.
Aufgrund des engen Zeitplans und der Bindung an die Essenszeiten fielen das Resümee, die Verabschiedung und der Dank wesentlich zu kurz aus. Somit ist das hier unbedingt nachzuholen. Danke an Ulrich „Uli“ Schümann für die hervorragende Organisation, Planung und Durchführung dieser Fortbildung. Sich wieder ein Wochenende plus Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit um die Ohren zu hauen, ist heute nicht mehr selbstverständlich. Ein weiterer Dank gilt den anderen Dozenten, die mit ihren Lehreinheiten das Programm sehr bereichert haben. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass dieser Austausch abends in gemütlicher Runde in „Susis Kotten“ fortgesetzt wurde; auch diese Runden tun viel für das Verständnis untereinander.
Detlef Kirchhof,
MTSV Hohenwestedt e.V.